Er und Ich

[TW: Gewalt, Selbstverletzung/Suizid]

Ich habe einen Mann ermordet letzte Nacht
Sah ihn sein Heim verlassen
Sah ihn Abschied nehmen
Ohne freundliches Wort für die, die blieben
Nur ein unbewusstes Grunzen
Kein Ausdruck von Liebe oder Wehmut - bloße Gewohnheit
Als wüsste er nicht, dass dieser Abend mich enthielt
Und in mir wuchs der Wunsch, zu strafen

Bin ihm gefolgt, unerkannt
Zögerlich zunächst
Unentschlossen noch
Ob es geboten sei, zu richten
Sah ihn mit leerem Blick durch Straßen laufen
Blind für die Anderen
Taub für ihr Leid
Und in mir wuchs der Wunsch, zu strafen

Fast hätte er mich entdeckt in einem Spiegel
War zu nah ihm gekommen, voll Hass
Wollte ihn den Schmerz der Welt spüren lassen
Nicht weil ich Weisheit besäße, mehr als er
Nicht weil ich überlegen wäre
Ich konnte einfach seine Fratze nicht ertragen
Nichts rechtfertigte seine Existenz
Und in mir wuchs der Wunsch, zu strafen

Wollte ihn tilgen, vernichten
Weil ich die Macht besaß, es zu tun
Mehr brauchte es nicht
Ihm das Leben zu nehmen
Seine Welt zu löschen
Gelegenheit, Motiv, Mittel in meiner Hand
Ankläger, Richter, Henker in einer Person
Weil ich beschlossen hatte, ihn zu töten

Seine Hoffnungen, Träume, gern geglaubten Lügen
Wollte ich ihm ins Maul stopfen
Gerade so, dass er halb daran ersticke
Wollte ihm den Rest des Halses füllen
Mit dem was mir an ihm unerträglich
Seiner Gleichmut, Trägheit, Ignoranz
Ihn würgen mit seiner Feigheit
Weil ich beschlossen hatte, ihn zu töten

Gab mich zu erkennen
Trieb ihn durch dunkle Gassen
Und obwohl er schneller lief und schneller
Rannte gar, die Augen weit von Furcht
Stellte ich ihn endlich
Mit dem Rücken zur Wand stand er
Und zitterte vor Angst
Weil ich beschlossen hatte, ihn zu töten

Er bettelte, flehte um sein Leben
Sank vor mir auf die Knie
Um abzuwenden, was unvermeidlich
Panisch rollende Augen suchten nach einer Waffe
Einem Schild, einem Fluchtweg
Er maß mich, berechnete meine Kraft
Sah seine Chancen schwinden
Denn es hieß er oder ich

Endlich stürzte ich mich auf ihn
Vor Wut fast trunken, gierig nach Gewalt
Zu seinem Ende entschlossen
Trieb ihm die Faust ins Gesicht mit aller Kraft
Bis Blut den Asphalt färbte
Seine Knochen brachen
Der Schmerz seine Schreie erstickte
Denn es hieß er oder ich

Und als er endlich vor mir niedersank
Ein letztes Röcheln nur im Brei der einst sein Mund
Geschlagen, verloren, sterbend
Und ich mich niederbeugte für das Ende
Sah ich Erkenntnis in seinem Blick
Verständnis für mein Werk
Mitleid mit meiner Pflicht
Denn es hieß er oder ich

Ich habe einen Mann ermordet letzte Nacht
Dieser Mann war ich


Er und Ich
Kategorie:
Gekritzeltes
Datum:
vom 13. Juni 2025
Tags:
Weitersagen:
Weiteres Gereimtes:



Geyerlei Gereimtes | Alle Texte und Bilder Copyright ©2025 Steffen Geyer | Siegfriedstr. 12, 12051 Berlin | +491786594399 | RSS-Feed

Steffen Geyer bei  Steffen Geyer auf X  Steffen Geyer auf Facebook  Steffen Geyer auf Instagram